Rezension von Martin Schönfeld

Rezension von Martin Schönfeld

Kunsthistoriker

B1076_1998
Kirche in Bornstedt, 1998. Öl auf Leinwand - 100x125 cm

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Auszug aus dem Austellungskatalog “Carl Timner – Bilder und Arbeiten auf Papier” Berlin Steglitz -Schwartzsche Villa Galerie, Grünewaldstr 55 3.September -26. Oktober 2008

Artikel von Martin Schönfeld “Eine Kunst der Zwischentöne” 2008

Die moderne, verwaltete Zivilisation verlangt Eindeutigkeit.Was in kein Raster hineinpasst, verunsichert und wirft Fragen auf. Dieser Struktur eine Differenzierung abzuverlangen, fordert das moderne Schubfachdenken heraus.

Carl Timner ist mit seinem künstlerischen Werk einen solchen Weg des subtilen Widerstands gegen den Zeitgeist gegangen. Von vorherrschenden Strömungen hat er sich nicht einschüchtern lassen, sondern sich immer daran orientiert, was für ihn persönlich eine inhaltliche und auch künstlerische Herausforderung war und ist. So ist es wiederum konsequent, dass sein Schaffen in den zurückliegenden fünfzehn Jahren eine erneute, vielleicht auch überraschende Wendung genommen und sich sowohl formal als auch motivisch weiter aufgefächert hat. Vor allem Landschaften, Naturmotive, Bildnisse und Figurendarstellungen, Stillleben und Stadtansichten sind nun in den Vordergrund seines Werkes getreten. Demgegenüber sind die grossen thematischen Werke und Ereignisbilder, mit denen Carl Timner vor allem in den 1970er und 1980er Jahren Aufsehen erregte, in den Hintergrund gerückt. Fuer Timner hat sich damit ein Prozess der Verallgemeinerung  vollzogen. Denn nun wendet er sich vermehrt universellen Themen zu, die sich für ihn in Bildnissen und Figurenstudien darstellen. Der menschliche Körper, seineDrehungen, Streckungen oder Biegungen, wird ihm zu einem zentralen Ausdrucksträger. Es ist vor allem der weibliche Körper, den Carl Timner immer wieder studiert und variiert, der ihn mit seinen lyrischen Formen emotional anspricht. Das Modell ist ihm dabei ein sehr wichtiger Partner im Schaffen. Es gibt ihm das sinnliche Erlebnis und die darin liegende Inspiration fuer einen neuen kreativen Arbeitsprozess.

In den zurückliegenden Jahren erfuhr auch die Bildsprache von Carl Timner eine Bereicherung: der bislang dominante expressive Realismus seiner Werke wurde um neusachliche, aber auch um impressive Nuancen erweitert. Sie verleihen seinen Bildern einen stillen Glanz, betonen die lyrischen Aspekte und deuten sie spezifische Atmosphäre einer Situation an. Dabei sind es vor allem Naturmotive, die Carl Timner zu einer intensiven formalen Auseinandersetzung führen: wenn etwa das Lichtspiel auf dem Wasser, das nasse Herbstlaub oder das Schilf am See so direkt, so virtuos und lebensecht vorgetragen werden, so dass sich die Formen zu verselbständigen scheinen. Dabei bedient sich der Künstler sowohl eines zum angewandten informel neigenden Spätimpressionismus als auch eines expressiven Realismus. Diese Werke rufen in Erinnerung, dass Carl Timner in der Formungsphase seines Schaffens unter den Einflüssen seines Lehrers Corrado Cagli und seines künstlerischen Umfeldes um Renato Guttuso zwischen der Abstraktion und Figuration schwankte, bevor er sich zu Beginn der 1960er Jahre für einen zeitgenössischen Realismus entschied. Doch stellen seine neueren Malereien viel entschiedener die Frage nach der Formwerdung: ab wann die Figur in ihre einzelnen Segmente zerfällt und damit ihre Form verliert und wann sich die Farblinien zur Form zusammenfügen. Carl Timner legt den Arbeitsgang des Malens sehr bewusst offen. Gerade weil er die Vorspiegelung der Illusion perfekt beherrscht, stellt er sie mit seinen sichtbar gesetzten Pinselstrichen wiederum in Frage. Die Skizzenhaftigkeit seines Farbvortrags verweist nicht nur auf den Gestaltungsprozess, sondern demonstriert sehr bewusst die damit verbundene Subjektivität des Künstlers.

Die Formwerdung ist für Carl Timner unabdingbar an den Gegestand gebunden. Das zeigen seine Kohle-und Kreidezeichnungen auf, in denen er die Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers sehr differenziert erforscht. Diese Menschenbilder praesentieren dem Betrachter ihre Körperlichkeit sehr direkt und sollen ihn unmittelbar emotional ansprechen.Timner zielt aber nicht auf eine Überwältigung, sondern auf die Vermittlung eines echten Gefühls, was er mit einer eher beiläufigen, sehr sachlichen Darstellungsweise erreicht. So regen die Figurenbilder zum Nachdenken an. Die gesehenen Körper, ihre feinen und dennoch so natuerlichen Formen lassen nicht los und prägen sich ein. Darin erweist sich Timner wiederum als ein Realist: hier wird nichts geglättet oder beschönigt, aber auch nicht veristisch zugespitzt, sondern hier werden individuelle Nuances freigelegt, die ein vielschichtiges Bild der Wirklichkeit entwerfen. Gerade darin beruht der persönliche Stil von Carl Timner: in einer Kunst der Zwischentöne.