Rezension von Renato Guttuso

Rezension von Renato Guttuso

Maler

B342_1968
Mann mit Kind und Hahn, 1968. Öl auf Leinwand – 99x129 cm

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Renato Guttuso Über Carl Timner

Deutsche Übersetzung aus dem Italienisch: Brigitta Krempel
Veröffentlicht in der Zeitschrift “Tendenzen” Nr 120, Juli_August 1978, Damnitz Verlag München

Ich glaube, dass Carl Timner ein Maler von grosser Begabung ist. Weiter glaube ich: Timner gehört zu den allerersten europäischen Malern seiner Generation. Und dies nicht nur wegen der einzigartigen Stellung, die er auf dem wenig geübten Gebiet einer rigoros gegenständlichen Kunst innehat – gestützt auf  aussenordentliche technische Fähigkeiten – sondern weil seine Gegeständlichkeit ihre kreative Wurzel nicht in der “Avantgarde” hat.

Das Problem der Gegenständlichkeit, der Objektivität ist das Zentralthema der heutigen Kunst. Diese Gegenständlichkeit zeigte sich aber – und zeigt sich noch – unter ganz unterschiedlichen Aspekten. Aspekte, die von den Erfahrungen des sogenannten “Pop” vergangener Jahre reichen bis zum Gebrauch der sogenannten “armen” Materialen (in der …arte povera”, Anm.d.Red.); bis hin zu den jüngsten, bereits auch wieder überholten, “hyperrealistischen” Präsentationen. Keiner dieser Aspekte, die alle zur Szene der abgewirtschafteten Avantgarde gehören und zu ihren Mitteln der künstlerischen Gestaltung, gegründet auf dringliche Detailgenauigkeit, hat auch nur entfernt einen Einfluss auf Timner gehabt.

Sein Objektivismus drückt sich aus mit den Mitteln der Zeichnung und der Malerei, mit Mitteln, die Timner sich in ihrer spezifischen Qualität wieder erobert, in dem er sich Konzepte aneignet, die aus der Renaissance oder dem Secento herkommen, die ungebräuchlich wurden oder zum platten Akademismus abgesunken sind.

Die Aneignung aber, die Timner mit ihnen vornimmt, gehört zu unserer Zeit. Die anatomiche Präzision, die Spannung der Muskeln und Nerven, der Ausdruck der Gesichter, das Achtgeben auf die Praezision (und Natürlichkeit) der Bewegungsabläufe bei gleichzeitiger offensichtlicher Normalität – drücken eine Welt aus, die zu uns gehört, so wie sie ist, ohne expressionistische Verzerrungen oder andere intellektualistische Veränderungen.

Daraus entspringt, in einer klaren und festen Repräsentation, ein wahrer, direkter, intensiver Bezug zwischen dem Künstler und seinen Gestalten. Die Blätter, auf denen eine Figur in veränderter Bewegung mehrmals wiederholt wird, sind Beweise  für die ausserordentliche Fähigkeit Timners, einen wirklichen Bezug zu seinem Gegenstand zu schaffen.

Die Wiederholung der Darstellung eines Modells ist nie akademisch, sondern Suche, Bedürfnis nach einem vertieften Verhältnis zu der jeweils zuletzt vorgestellten Figur.

Wegen dieser seiner Verständlichkeit, Klarheit, Offensichtlichkeit und absoluter Glaubwürdigkeit ist Timner, in einer Epoche voller intellektualistischer und spektakulärer Verfälschungen wie der unseren, ein schwieriger Maler.

Auch dies ist ein Zeichen seines Wertes. Timner sucht nach der Wahrheit, und die Wahrheit ist schwer.