Rezension von Peter Scherer

Rezension von Peter Scherer

Historiker

B813_1984
Katharina von Alexandrien, 1984. Öl auf Leinwand - 160x203 cm

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"Stadtansichten 1985 – Jahrbuch für Literatur und kulturelles Leben in Berlin (West)" Edition Neue Wege, Berlin 1985

Text von Peter Scherer "Katharina von Alexandrien" über ein Bild von Carl Timner, 1985

Katharina von Alexandrien ist Teil einer Tradition der Befreiung. Sie ist charakterisiert durch Wissen, Beredsamkeit, Schönheit. Ihre Gabe zu reden und andere durch ihre Rede zu einer völligen Umkehr zu bewegen, entspricht nicht Zauberkraft, sondern vernünftiger Einsicht. Sie verkörpert kein eigentlich christliches, sondern ein humanistisches Ideal, eine Verbindung der Minerva und Venus, der Pallas Athene und der Aphrodite.

Es hat solche Frauen in der Zeit des Umbruches gegeben, der nirgends seine Widersprüche schärfer ausgeprägt hat als in Nordafrika. Sie sind fassbar in Hypathia, einer Philosophin. Sie lebte wie Katharina in Alexandrien, ja manche glauben in Katharina nur den legendären Widerschein der historischen Hypathia zu erkennen. Schön und gelehrt, hat Hypathia den Hass der christlichen Eiferer auf sich gezogen. Sie locken sie in eine Kirche, reissen ihr die Kleider vom Leib und zerfleischen sie – wie es heisst – mit grossen scharfkantigen Muscheln – Erinnerung an ein Symbol der Aphrodite. Klugheit und Schönheit bedeuten die Ablehnung von Demut und Askese, christlicher Kardinaltugenden.

Katharina studiert von frühester Jugend an alle Wissenschaften, und sie redet zu allen, zu den Schergen, die mit ihr konspirieren, zur Frau des Kaisers, die sie gewinnt, zu den Soldaten, die sich gegen den Kaiser kehren, zu den Gelehrten, die sich lieber töten lassen, als die Politik des Kaiser weterhin zu rechtfertigen.

Katharina zerbricht den Unterdrückungsapparat, dessen Trümmer ihr zu Füssen bleiben. Auf ihrer Hand trägt sie ein aufgeschlagenes Buch. Sie ist Patronin der philosophischen Fakultät der Sorbonne und der Universität Heidelberg. Wie es keine historische Figur gibt, deren Identität diejenige Katharina waere, so gehört Katharina zu einer Gruppe von Frauenbildern. Als erste ist Judith zu nennen, die ihre Vaterstadt rettet durch verführende Schönheit und Mut. Jeanne d’Arc steht ihr zur Seite. Schliesslich ist an eine Frau zu erinnern, deren Namen wir nicht wissen: eine junge Jüdin, die in Auschwitz im Vorraum der Gaskammer einem SS-Schergen, der ihr nahetritt, die Waffen entreisst und ihn niederstreckt. Zeugen bestätigen den unbeschreiblichen, stillen Triumph der Häftlinge angesichts der Tat, die für einen Augenblick den Widerschein der Freiheit und Gerechtigkeit zurückbringt.

Katharina ist die heimliche Patronin der (werk-) tätigen Frau. Man denke an die “Catherinettes”, die Modistinnen und Hutmacherinnen von Paris. Unter diesem Gesichtspunkt ist Katharina als “Arbeiterin” Gegenbild zu Maria, der Mutter.